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GEAB N°87 ist angekommen! Europa 2020 – Gemeinschaft Europa oder Imperium ?

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- Pressemitteilung des GEAB vom 15. September 2014 (GEAB N°87) -
GEAB N°87 ist angekommen! Europa 2020 – Gemeinschaft Europa oder Imperium ?
Diese Überschrift ist inspiriert vom Titel eines Buchs von Franck Biancheri aus dem Jahr 1992 (unveröffentlicht), in dem der Autor darlegt, dass die Grundprinzipien des europäischen Projekts, wie es nach dem Ende des 2. Weltkriegs gedacht worden war (als eine Gemeinschaft von Staaten, die zusammen einen dauerhaften Frieden auf einem wohlhabenden Kontinent errichten) auch verdrängt werden könnten und die alten europäischen Reflexe der Imperiumsbildung (Kolonialisierung, Napoleon, Hitler) sich wieder durchsetzen könnten. Franck Biancheri vertrat die Auffassung, dass nur eine Demokratisierung die Sicherheit gegen ein solches Abgleiten des Projekts der europäischen Integration bieten könne.

Einige Jahre später änderte der Maastrichtvertrag den Namen der Europäische Gemeinschaft in Europäische Union und Franck Biancheri, der grundsätzlich allen Arten von Unionen misstrauisch gegenüberstand, hielt dies für keine gutes Vorzeichen der zukünftigen Entwicklungen. 23 Jahre später ist die Demokratisierung in Europa keinen Schritt weiter gekommen und die gegenwärtige Krise schafft das perfekte Umfeld für ein Scheitern des Projekts der Gemeinschaft Europa. Wir werden aufzeigen, welche Hinweise dafür vorliegen, dass die Tendenz der Imperiumsbildung (die natürlich immer unterschwellig da, aber durch Schutzmechanismen eingedämmt war) wieder dabei ist zu erstarken. Aber wir werden insoweit noch keine richtige Antizipation vorlegen, also nicht entscheiden, wohin nach unserer Meinung die Entwicklung gehen wird, sondern vielmehr auch die Hinweise herausarbeiten, die uns hoffen lassen, dass nicht alles für die Idee von Europa als Gemeinschaft verloren ist (1).

Dafür bedarf es aber einer Tendenzumkehr. Beinahe ein Jahr schreiben wir schon, dass Europa am Scheideweg (2) stünde. Wir gehen davon aus, dass es jetzt den falschen Weg eingeschlagen hat, in Richtung auf das tragische Szenario, das Franck Biancheri in seinem visionären Buch ."Nach der Krise – Auf dem Weg in die Welt von Morgen; beschrieben hat, das im Jahr 2010 veröffentlicht wurde (3). Darin beschrieb er auch die wesentlichen Trümpfe Europas in der Krise und sein Potential, beim Aufbau einer multipolaren Welt mitzuwirken - aber auch die Risiken für Europa und seine Menschen, deren herrschenden Eliten (nicht-demokratisch in Brüssel) und (nicht-europäisch) in den Hauptstädten sich als unfähig erwiesen, die Krise als Chance für einen Abschluss der europäischen Konstruktion durch Vertiefung und Demokratisierung zu nutzen, die so unvollendet bleibt (4).

Wie unsere Leser wissen, haben wir die Ukrainekrise immer als Aktion der Amerikaner interpretiert, die ihre Politik mit Hilfe treuer Gefolgsgenossen in den Entscheidungskreisen in Brüssel umsetzten, auch mit dem Ziel, Europa auf Dauer als Juniorpartner (oder als nützlichen Idioten) der USA im westlichen Lager zu verankern. Diese Aktion wurde wie ein Blitzkrieg geführt und hat die Europäer überrumpelt, die sich quasi über Nacht in einem Vorkriegsstadium mit den Russen befanden. Als sie ihren ersten Schock überwunden hatten, spielte sich eine andere Schlacht ab, diesmal innerhalb der herrschenden Eliten, den Mitgliedstaaten und in den öffentlichen Meinungen, zwischen den Anti-Russen und den Pro-Russen, bzw. vielmehr zwischen den Pro- Amerikanern und den Anti- Amerikanern, aber vor allen Dingen zwischen den ideologischen Transatlantikern und den Verteidigern der Unabhängigkeit des
europäischen Kontinents.

In den beiden letzten Ausgaben des GEAB konzentrierten wir uns auf die Tatsache, dass die Bedingungen für einen heilsamen Ruck gegeben wären und boten Hinweise dafür, dass die Europäer wieder dabei waren, ihre Angelegenheiten zu regeln. Aber dann kam der Sommer und die Menschen beschäftigten sich, wie jedes Jahr, mit anderen Dingen. Wieder aus dem Urlaub zurück, müssen sie feststellen, dass die Aussichten sich verdüstert haben und vor allen Dingen drei unangenehme Ereignisse eingetreten sind: Die erneute Umbildung der französischen Regierung, der Kommissionsvorschlag von Juncker und das große Nato-Schaulaufen in Newport. Diese Ereigniss werden wir in ihrer Bedeutung analysieren. Anschließend widmen wir uns weiteren wichtigen aktuellen Themen des Herbsts (Irak, Präsidentschaftswahlen in Brasilien, Regierungsumbildung in Japan), die wir in ihrer Bedeutung für die geopolitischen Veränderungen interpretieren, wobei wir uns besonders Hinweisen zuwenden, die nach unserer Ansicht nachweisen, dass die Welt dabei ist, sich in zwei Blöcke zu spalten (Bipolarisation statt multipolare Weltordnung). Dadurch werden wir zeigen, dass nicht nur Europa dabei ist, der Versuchung der Reichsbildung zu erliegen.

Europa spielt seine Rolle bei der schweren Geburt der Welt von Morgen, aber es ist sicher, dass das Risiko nun höher für eine Spaltung der Welt ist und das dadurch auch in Europa die Gefahr steigt, dass die Eliten sich wieder Träumen von einem europäischen Imperium hingeben.

Wir gehen davon aus, dass ein Scheitern der EU zwei verschiedene Reaktionen hervorrufen kann:

- Das Scheitern kann als Chance genutzt werden, das europäische Projekt wieder dort aufzunehmen, wo es die Grundlagen für sein Scheitern legte, also zur Zeit des Falls des Eisernen Vorhangs, und einen Neuanfang mit einem Kern von Mitgliedstaaten zu versuchen (Euroland), um eine politische und demokratische Union zu verwirklichen, auf die sich die EU in ihrer Gesamtheit nicht hatte verständigen können (Europa als Gemeinschaft)

- Oder dies mit allen Mitteln verhindern zu wollen und alle Irrwege der zweiten Konstruktionsphase (1989 bis 2014) auf die Spitze zu treiben: Ultraliberalismus, Verschuldung, Erweiterung, stramme Westbindung (Europa als Imperium).

Unabhängig davon, welche Reaktion sich durchsetzen wird, es wird eine politische, nicht eine technokratische, von Beamten erdachte und umgesetzte Reaktion sein. Europa wird wieder zu einer Angelegenheit der Politik. Aber je nach Wahl zwischen den beiden Optionen würden verschiedene Europas entstehen; die beiden möglichen Europas werden wenig gemein haben.

Die beiden Ideologien ringen momentan miteinander in den europäischen Entscheidungszirkeln, sowohl auf nationaler wie auch auf europäischer Ebene. Wir befürchten, dass der Trend Europa-Imperium zur Zeit der stärkere ist, aber noch bleibt Hoffnung, dass sich letztendlich Europa-Gemeinschaft durchsetzen wird.

Das Scheitern Europas – schottisches Referendum, misslungene Integration der osteuropäischen Mitgliedstaaten
Ja, die EU scheitert. Wir haben bereits häufig beschrieben, wie Stück für Stück die europäischen Errungenschaften von den Mitgliedstaaten angezweifelt werden, insbes. die Personenfreizügigkeit im Schengenraum (5). Oder auch der drohende Austritt Großbritanniens, das doch seit der Gründung der EU 1992 maßgeblich deren Entwicklung bestimmt hat (Erweiterung statt Vertiefung, Wettbewerb, Finanziarisierung, Neoliberalismus).

Schottisches Referendum: Nun ist auf die Liste der europäischen Probleme ein weiteres gekommen, nämlich der wahrscheinliche Zerfall des Vereinigten Königreichs durch das schottische Unabhängigkeitsreferendum. Wir waren vor Monaten das Risiko eingegangen, ein Sieg des JA vorherzusagen. Heute machen wir eine weitere Vorhersage. Unabhängig davon, ob das JA oder das NEIN gewinnen, wird Großbritannien durch das Referendum tiefgreifend verändert werden. Die britische Regierung hatte wohl auf einen Erdrutschsieg für den Erhalt Großbritanniens gehofft. Aber angesichts des nun sicherlich engen Ergebnisses musste Cameron schon zahlreiche Konzessionen weiterer Autonomie für die Schotten (6) ankündigen, die die anderen britischen Landesteile ebenfalls für sich einfordern werden (Wales und Nord-Irland) (7).

Aber in Übereinstimmung mit der Erkenntnis der Politischen Antizipation, dass grundlegende Trends nicht verhindert, sondern nur begleitet und ausgenutzt werden können, können wir Großbritannien nur die Fortentwicklung zu einem föderalen Staat empfehlen. Wir haben schon häufig dargelegt, dass zentralistische Staaten weniger geeignet sind, die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu meistern.

Und die Engländer sind pragmatisch und anpassungsfähig. Sie konnten schon den Niedergang ihrer Finanzindustrie aufhalten, indem sie sich für Geschäfte in Yuan und islamische Finanzprodukte geöffnet haben (8).

Und eine Föderalisierung Großbritanniens würde sicherlich auch Auswirkungen auf die weitere Entwicklung der EU haben.

Misslungene Integration der osteuropäischen Mitgliedstaaten: Die EU droht auch an ihrer Ostgrenze der Zerfall.

Heute erscheint die EU in der Krise als deutlich weniger attraktiv für die östlichen Mitgliedsstaaten, auch wenn sie ihre Mitgliedschaft noch nicht in Frage stellen. Sie orientieren sich wieder stärker an der früheren Besatzungsmacht Russland. Ungarn unter Victor Orban hat insoweit eine Vorreiterrolle eingenommen. Europa wäre gut beraten, sich die Ideen dieses Politikers anzuschauen, der wahrlich kein Diktator ist, aber auf den starken politischen Mann der Nation macht, der sich für die Unabhängigkeit seines Landes einsetzt. Aber im Europa der letzten Jahre war jegliche Orientierung an Russland gleichbedeutend mit Hochverrat.

Andere Mitgliedstaaten, aus Frustration über das europäische Unvermögen, eine eigene Verteidigung aufzubauen, haben selbst die Initiative ergriffen Die sogenannte Visegrad-Gruppe (in der u.a. Ungarn ist, aber auch die Slowakei, die vor kurzem erklärt hat, keine fremden Truppen auf ihrem Boden dulden zu wollen (9) ) arbeitet schon seit Jahren am Aufbau eines gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungsystems, was ihnen eine gewisse Unabhängigkeit sichern würde (10). Das ist eine direkte Folge des europäischen Unvermögens, die östlichen Randmitgliedstaaten ausreichend in eine europäische Sicherheitsstruktur einzubinden.

Bulgarien wollen mit Russland im Rahmen des Baus einer Gaspipeline zur Umgehung der Ukraine mitarbeiten, dem South-Stream-Projekt. Aber mit der Ukrainekrise wurde die weitere Arbeit am bulgarischen Teilstück von Brüssel untersagt (11). Dabei hat Bulgarien doppeltes Interesse an diesem Bau Zum einen, um die eigene Energieversorgung sicherzustellen, zum anderen, weil für die Durchleitung
von Russland Gebühren gezahlt werden, die für Bulgarien eine nicht unerhebliche Finanzquelle darstellen.

Die Wahlbeteiligungen in den osteuropäischen Mitgliedstaaten bei den letzten Europawahlen sind ein klarer Hinweis, dass die Integration dieser Länder ein voller Fehlschlag war. Die Integration kam zu schnell und aus den falschen, nämlich ausschließlich wirtschaftlichen Gründen. Diese Länder haben häufig EU- Erweiterung und Nato- Erweiterung durcheinander gebracht. Und die Wirtschaftsintegration erlebten sie als eine Invasion westlicher Unternehmen, die die lokale Unternehmensstruktur zerstörten.

Sollte auch anlässlich der Ukrainekrise nicht gelingen, eine neue europäische Sicherheitsstruktur in Konzertation und nicht in Konfrontation mit Russland aufzubauen, werden sicherlich einige osteuropäische Länder bis 2020 der EU den Rücken kehren. Das wäre ein gigantisches Scheitern der EU, die die Vertiefung zugunsten der Erweiterung aufgegeben hatte.

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Quellen:

(1) Es entspricht nicht unserer üblichen Vorgehensweise, uns nicht zwischen Szenarien zu entscheiden. Diesmal überlassen wir
dies unseren Lesern.

(2) Ein Ausdruck, den wir 2013 häufig benutzen mussten.

(3) Da seine Neuauflage verdient hätte. Der Verlag Anticipolis möchte dies in die Weg leiten.

(4) Seit dem Abschluss des Maastrichtsvertrags wurde nur noch der Euro eingeführt, jegliche sonstige Vertiefung wurde
vernachlässig. Dabei müsste uns die Gemeinschaftswährung dazu zwingen, insbes. mit einer Steuerunion, einer politischen
Union und der Demokratisierung. Aber nichts ist geschehen und nun kommen schwere Zeiten...

(5) Z.B: Deutsche Welle, 22/10/2012

(6) Quelle: DailyAdvance, 14/09/2014

(7) Quelle: BBC, 09/09/2014

(8) Quelle: Forbes, 14/09/2014

(9) Quelle : Reuters, 04/06/2014

(10) Quelle: Premier.gov.pl, 14/10/2013

(11) Quelle: Financial Times, 25/08/2014


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